Der Bericht ...

22März2016

... für die Bezirksregierung, die dankenswerterweise unsere Fahrt unterstützt hat, ist jetzt hier zu lesen. Er erscheint ungefähr so auch in den Montessori Mitteilungen. Dies ist eine Vorab-Version.

Sachbericht

für den Verwendungsnachweis der Zuschüsse der Bezirksregierung

Wenn man Jugendlichen schwierige sozialpolitische und historische Themen näher bringen möchte, dann kommt es zunächst darauf an, die richtige Arbeitsatmosphäre zu schaffen, zumal wenn man als Gruppe agieren möchte. Möglichst konkret soll der Einstieg sein, möglichst anschaulich, nicht zu akademisch – der Lernort angenehm und einladend; das Arbeitsmaterial, die historischen Quellen ansprechend und interessant – eine im besten Sinne „vorbereitete Umgebung“ im Sinne Maria Montessoris.

Welcher Ort ist da besser geeignet, als der Originalschauplatz, wenn er sich denn erreichen, wenn es sich einrichten lässt? Für 20 Schülerinnen und Schüler der 11. Jahrgangsstufe bot sich Ende Februar die Gelegenheit, eine der interessantesten Regionen der Welt quasi hautnah zu erleben. Zum fünften Mal in sechs Jahren bereiste eine Schülergruppe der Bischöflichen Maria-Montessori-Gesamtschule das Heilige Land und führte so den erfolgreichen Schüleraustausch mit der Reali School in Haifa fort.

Die Umgebung war mehr als vorbereitet, als wir am 25. Februar mittags in Tel Aviv aus dem Airbus stiegen. Morgens in Düsseldorf musste das Fluggerät noch vom Eis befreit werden – mittags in Tel Aviv empfing uns der Frühling mit blühenden Bäumen und einem 20 Grad lauen Wind.

Nachmittags in Jaffa, im historischen Kern von Tel Aviv, wurden wir Zeuge der Gegensätze, die diesen Ort ausmachen: Die moderne, westlich geprägte Metropole des neuen Tel Aviv mit ihren glitzernden Fassaden und breiten Straßen schließt sich unmittelbar an Jaffas Gäßchen und Treppen an, die in typisch orientalischer Architektur bis an den uralten Hafen und bis zum Strand reichen. Kirchen stehen neben Moscheen – dazwischen eine Synagoge: Das sind die Kontraste, die dieses Land so anregend machen. Der Falafel-Shwarma-Verkäufer spricht englisch, hebräisch und arabisch, als er uns die erste Mahlzeit unseres Aufenthaltes serviert. Er hat alle Köstlichkeiten der mediterranen und orientalischen Küche im Angebot.

Auf unserer Reise erlebten wir ein wenig von der großen Vielfalt, die Israel zu bieten hat. Reichtum und Armut, islamische, christliche und jüdische Traditionen in den Gastfamilien, Pfadfinder und Militär, Moscheen, Synagogen, Schabat, Muezzin, Familienfeiern und wilde Partys am Strand und anderswo.

Dass Kontraste auch Konflikte auslösen können, hatten unsere 16 und 17jährigen Schülerinnen und Schüler spätestens nach einigen vorbereitenden Gruppentreffen zu den Themen Nahostkonflikt und Deutsch-Jüdische Beziehungen verstanden. Die meisten  Teilnehmerinnen und Teilnehmer kannten das Thema aus dem Unterricht (ein wenig) und aus den  Medien (schwerpunktmäßig) und hatten entsprechende Vorstellungen entwickelt. Im Verlauf der Reise wuchs dann die Erkenntnis: Hinfahren und sich selbst ein Bild machen, mit Menschen ins Gespräch kommen, Kontakte und Freundschaften aufbauen und pflegen – das ist allemal besser, als allein den gefilterten Wahrheiten zu vertrauen.

Die gemeinsame deutsch-israelische Vergangenheit war programmgemäß mehrmals Thema während unseres Besuchs. Dass Haifa, die Heimat unserer Gastschüler, von deutschen Siedlern im 19. Jahrhundert als „German Colony“ gegründet wurde, war schon mäßig interessant. Dass einige unserer Schülerinnen und Schüler von den deutschen Wurzeln ihrer Gastfamilien berichteten führte dann schnell zu der erwarteten Frage – „… und wie denken die heute über den Holocaust?“ – Die Antwort lieferten bei diesem Austausch die „Survivors“ – die Überlebenden des Holocaust, von denen es mehr als 70 Jahre nach Kriegsende  nicht mehr viele gibt. Wir hatten überraschenderweise die Ehre, zwei von ihnen kennen zu lernen.

Yehuda Lahav, Lehrer an der Reali School und auf israelischer Seite seit zwei Jahren verantwortlich für den deutsch-israelischen Schüleraustausch, stellte uns David Klein aus Los Angeles vor, einen fast 90jährigen ungarisch-jüdischen Kunsthändler, der als Jugendlicher zunächst in Auschwitz-Birkenau interniert war und später nach mehreren „Todesmärschen“ im Lager Buchenwald das Kriegsende erlebte. Über zwei Stunden berichtete der Survivor detailliert und intensiv, wie es ihm ergangen war – und wie er nur durch mehrere Zufälle überhaupt überlebt hat.

In der nationalen Holocaust Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem trafen wir im Anschluss an den Rundgang durch den Innenbereich die Überlebende Hannah Pick-Goslar. Man möchte die Begegnung mit David Klein in ihrer Intensität und Wirkung im Vergleich nur ungern herabsetzen wollen, aber was uns die 87jährige, unglaublich präsente Frau Pick-Goslar über zwei Stunden berichtete, berührte unsere Reisegruppe so sehr, dass wir die Veranstaltung spontan verlängern mussten, um alle Reaktionen, Fragen und Emotionen angemessen zu berücksichtigen. Das lag nicht zuletzt daran, dass einigen Zuhörern der Namen der Referentin bekannt vorkam. Spätestens als sie sagte, sie sei zusammen mit Anne Frank in Amsterdam aufgewachsen, konnten unsere Schülerinnen und Schüler sie zuordnen. Ihr Augenzeugenbericht von ihrem ersten Kontakt zu Anne in Amsterdam bis hin zur letzten Begegnung kurz vor Annes Tod im Konzentrationslager Bergen-Belsen wird der Reisegruppe unvergesslich bleiben.

Das Thema „Verfolgung während des Nationalsozialismus“ wird auch fortgeführt werden, wenn wir die israelischen Schülerinnen und Schüler im Herbst 2016 in Krefeld begrüßen. Angefragt ist bereits eine Veranstaltung in Krefelds Gedenkstätte Villa Merländer, ein Stadtrundgang zum Thema jüdisches Leben in Krefeld und ein Besuch in der jüdischen Gemeinde. Im Anschluss reisen deutsche und israelische Schülerinnen und Schüler gemeinsam nach Weimar/Buchenwald und Berlin. An beiden Standorten werden wir das Thema vertiefen.

Obwohl einige Gastfamilien wohl Verwandte und Mitglieder haben, die unmittelbar von der Verfolgung durch die Nationalsozialisten betroffen waren und sind, spielte diese Tatsache für die Atmosphäre des Austauschs gottlob keine Rolle. Israelische Jugendliche, so erfuhren wir, sind in diesem Alter fast genauso unpolitisch wie ihre deutschen Partner. Die Vergangenheit ist eben nur eine Facette in ihrem Leben – die Gegenwart und die Zukunft sind ihnen naturgemäß mindestens ebenso wichtig.

Zwei weitere Facetten der israelischen Gesellschaft waren ebenfalls Teil des Austauschprogramms: Der Kibbuz und das Militär. In Haifa waren wir zu Gast im Kibbuz Yagur, einem der letzten und auch größten Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft dieser Art, die noch nach klassischem sozialistischem Muster organisiert ist. Hier wird noch Vieles geteilt – das Essen, die Einnahmen und die Autos zum Beispiel. Klassische Landwirtschaft mit Landarbeitern, die die Felder bestellen, sieht man dort dagegen kaum noch. Die Schülerinnen und Schüler waren überrascht über die High-tech Anlagen, die den klassischen Farmer praktisch überflüssig machen. Bewässern? Automatisch. Hühner füttern? Natürlich per Computer. Wer soll denn auch über 100.000 Masthühner per Hand versorgen? Kibbuze sind heute moderne Wirtschaftsunternehmen, die in Israel im globalen Wettbewerb zunehmend unter Druck geraten. Am See Genezareth besuchten wir ein paar Tage später den Kibbuz Ma’agan, dessen Nutzfläche vor Jahren in ein Ferienresort am Ufer des Sees umgewandelt worden ist. Strandbad, Pool, Restaurants und Ferienvillen bestimmen hier das Bild und sorgen für das Einkommen – auch von deutschen Touristen, die 2015 die drittstärkste Gruppe nach Israel und Großbritannien stellte.

In der „Military Boarding School“, dem Militär-Internat, das direkt neben der Reali School liegt, trafen wir zwei Kadetten, die uns Einblick in ihre Ausbildung zur militärischen Führungskraft gaben. Für unsere Schülerinnen und Schüler befremdlich war, dass das Militär im Leben junger israelischer Männer und Frauen einen breiten Raum einnimmt. Schon am ersten Wochenende war eine Montessori-Schülerin mit ihrer Gastgeberin bei den „Scouts“. Sie berichtete von Vorbereitungen für ein Pfadfinder-Zeltlager für 12Jährige in der Wüste Negev, das mehr an ein Survival Training erinnerte. Ebenfalls am Wochenende trafen sich deutsche und israelische Schüler zum gemeinsamen Paintball-Wettbewerb – einem in Israel sehr belieben „Sport“, bei dem sich die Teilnehmer mit Farbkugel-Munition beschießen. Gewisses Verständnis für die Omnipräsenz von Uniformen in Israel kam auf, als wir in einer kleinen informellen Feedback-Runde auf die permanente Bedrohung zu sprechen kamen, die nicht nur von Israels Nachbarstaaten (Libanon, Syrien, Ägypten) und dem gesamten Nahen Osten, sondern auch von radikalen Gruppen im eigenen Land ausgeht. Sicherheit wird also ganz groß geschrieben – das bemerkten wir nicht nur in Jerusalem, dem Zentrum des Glaubens dreier Weltreligionen.

Für uns ging es rund um Jerusalem wie auch schon vorher in Galiläa schwerpunktmäßig darum, die Orte christlichen Glaubens aufzusuchen. Hier konnten wir das Neue Testament als Reiseführer benutzen. Ob in Tabgha in der Brotvermehrungskirche und, in Kafarnaum in der Kirche über dem Haus des Simon Petrus oder auf dem Berg der Seligpreisungen, dem Ort der Bergpredigt – wenn man sich die Touristenströme wegdenkt, kann man überall die Atmosphäre nachvollziehen, in der Jesus hier gewirkt hat. Auch wenn (besonders in Jerusalem) nachweislich nicht alle Stellen authentisch sind, atmet die Stadt Religiosität. Da stört es kaum, dass der Abendmahlssaal und der Sterbeort Marias in der Dormition-Abtei eher symbolischen Charakter haben – ebenso wie der Verlauf des Kreuzwegs auf der Via Dolorosa. „Echt“ dagegen sind die Grabeskirche und Golgatha, der Garten von Gethsemane und der steinerne Sarg von König David. nach unserem Besuch in der Heiligen Stadt ist Bibel-Lesen wieder „angesagt“ bei einigen Reiseteilnehmerinnen – auch ein schönes Ergebnis unserer Reise.

Dies sind nur einige der Erfolge und Auswirkungen, die unser Besuch in Israel hervorgebracht hat. Wir hoffen auf weitere positive Ergebnisse im Herbst, wenn der Gegenbesuch erfolgt. Weitere Erlebnisse und Einsichten der Reise findet der geneigte Leser in unserem Reiseblog unter

http://bmmgisrael2016.auslandsblog.de mit über 400 Fotos.

Michael Hamke, 03/2016